Mundart im Chindsgi: Bleiben wir auch in Zukunft vom Hochdeutsch-Zwang verschont?

Kleine Anfrage vom 20. Juni 2011

Kantonsrat, von Daniel Preisig

KLEINE ANFRAGE

MUNDART IM CHINDSGI: BLEIBEN WIR AUCH IN ZUKUNFT VOM HOCHDEUTSCH-ZWANG VERSCHONT?

 

Sehr geehrter Herr Regierungspräsident

Sehr geehrte Damen und Herren Regierungsräte

In den Kantonen Zürich und Basel-Stadt hat das Volk an der Urne die Sprachpolitik der Erziehungsdirektoren korrigiert: In beiden Kantonen sprach sich die Mehrheit der Bevölkerung dafür aus, dass in unseren Kindergärten wieder Mundart ge¬spro¬chen werden soll. Die Bildungsdirektoren wollten das Schweizerdeutsche schritt¬weise aus dem Kindergarten verbannen und flächendeckend die Hochdeutsch-Pflicht einführen.

Mit ihrem Hochdeutsch-Erlass wollte die Zürcher Bildungsdirektorin Regine Aeppli fremdsprachigen Kindern die Integration er¬leich¬tern – erreicht hätte sie genau das Gegenteil: die Ausgrenzung junger Ausländer von der Schweizerdeutsch spre¬chen¬den Mehr¬heit. Wörter machen Leute. Wer labert wie Mergim Muzzafer (von Mike Müller gespielte Albanerfigur aus der Satire-Sen¬dung Giaccobo/Müller), kommt nicht besonders gut an und dürfte im täglichen Leben, insbesondere auch bei der Lehrstellen¬suche, Schwierigkeiten haben. In der Mundart-Debatte wurde aber auch klar, dass für viele die Mundart weit mehr bedeutet als bloss die Sprache: Das Schaffhauserdeutsch ist ein wichtiger Teil unserer Kultur und Identität! «Mundart wird immer unsere Herzenssprache bleiben», heisst es in Foren. Und: Der Erwerb der Sprachen soll altersgerecht erfolgen.

Doch wie sieht die Situation in Schaffhausen aus? Heinz Keller, Dienststellenleiter Primar- und Sekundarstufe I, verneinte im Interview mit den Schaffhauser Nachrichten [1] jeglichen Handlungsbedarf im Kanton Schaffhausen: «In unseren Kindergärten soll situativ und mit gesundem Menschenverstand Dialekt oder Hochdeutsch gesprochen werden.» Abgestützt ist diese Aussage auf ein Merkblatt aus dem Jahre 2005. Darin hält die kantonale Behörde fest: «Die Unterrichtssprache in den Kinder¬gär¬ten ist weiterhin Schweizerdeutsch». Dazu gibt’s so genannte «Hochdeutsch-Inseln», welche regelmässig und in ausgewählten Sequenzen stattfinden sollen. Wenn man sich in den Schaffhauser Kindergärten umhört, bestätigt sich diese Handhabung in der Praxis.

An der aktuellen, pragmatischen Praxis in den Schaffhauser Kindergärten (Unterrichtssprache ist Mundart, Hochdeutsch-Inseln als einzelne Sequenzen) ist also nichts auszusetzen, sie wird von Kindergärtnerinnen und Eltern gleichermassen gelobt. Und aus dem Erziehungsdepartement gibt es keine Anzeichen – zumindest nicht gegen aussen –, daran etwas ändern zu wollen. Besteht also tatsächlich kein Handlungsbedarf? Nicht ganz: Wer die (notabene) gültigen, eigentlich verbindlichen rechtlichen Grundlagen studiert, stellt fest, dass zwischen der aktuellen, pragmatischen Praxis und den rechtlichen Grundlagen ein eklatanter, ja Besorgnis erregender Widerspruch besteht.

Wahrscheinlich haben verschiedene Bildungsdirektoren – so auch in Schaffhausen – im Strudel der Harmos-Abstimmungen Zusicherungen gemacht, dass sowohl der Kindergarten (HarmoS spricht ja von der Basisstufe) und dort auch die Mundart als Unterrichtssprache erhalten bliebe. Dies obwohl im HarmoS-Konkordat das Gegenteil vorgesehen ist. Im Sprachenbeschluss der EDK [2] vom März 2004, welcher mit HarmoS umzusetzen ist, heisst es klipp und klar: «Die lokale Landessprache (Standardsprache) wird von Schulbeginn an (ab Kindergarten) konsequent gefördert.» Mit Standardsprache ist Hochdeutsch gemeint.

Im Kanton Schaffhausen ist gem. aktuellem Schulgesetz (Schulgesetz Art. 70, Abs. 1) der Erziehungsrat zuständig für die Festlegung der Unterrichtssprache. Im Juni 2004 erliess der Erziehungsrat eine entsprechende Weisung [3] in Übereinstimmung mit dem EDK-Beschluss. Darin wird festgehalten, dass im Kindergarten Hochdeutsch gesprochen werden muss, über einen genauen Anteil schweigt sich das Papier aus. Mundart wird mit keinem Wort erwähnt; der Fokus liegt auf dem Hochdeutsch. Einen andern Beschluss, der die Mundart als Haupt-Unterrichtssprache im Kindergarten zusichert, existiert nicht.

Um den Widerspruch zwischen den gesetzlichen Vorgaben und der bewährten Praxis aufzulösen, vielmehr aber auch um sicherzustellen, dass die bewährte Praxis mit der Mundart als Unterrichtssprache erhalten bleibt, bitten wir um die Beant¬wor¬tung der folgenden Fragen:

1. Kann der Regierungsrat resp. der Erziehungsrat eine klare und verbindliche Aussage machen, dass im Kindergarten weiterhin hauptsächlich Mundart gesprochen werden und die heute gültige Praxis nicht geändert werden soll?

2. Ist dem Regierungsrat bewusst, dass zwischen der heute gültigen und anerkannten Praxis und den gesetzlichen Vorgaben ein Widerspruch besteht? Falls ja, wie plant der Regierungsrat damit umzugehen?

3. Ist dem Regierungsrat bekannt, dass der Sprachenbeschluss der EDK für Schaffhausen als HarmoS-Konkordats-Kanton in der gesetzlichen Frist (bis zum 1. Juli 2015) umzusetzen wäre?

4. Ist der Regierungsrat bereit, der EDK transparent und offiziell mitzuteilen, dass in Schaffhausen der Sprachen¬beschluss nicht umgesetzt wird? Falls nein, warum nicht?

5. Ist der Regierungsrat bereit, im Erziehungsrat anzuregen, über die heute gültige Praxis (Mundart als Unterrichts¬sprache, dazu Hochdeutsch-Inseln) einen offiziell gültigen Beschluss zu erlassen?

Für die gesonderte Beantwortung der Fragen danken wir Ihnen heute schon bestens.

 

Mit besten Grüssen

 

Daniel Preisig, Kantonsrat JSVP

Erwin Sutter, Kantonsrat EDU

 

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Fussnoten:

[1] Artikel in den Schaffhauser Nachrichten vom 17.05.2011, Interview mit Heinz Keller, «Handlungsbedarf besteht nicht»

[2] Sprachenbeschluss der EDK: http://edudoc.ch/record/30008/files/Sprachen_d.pdf, Kap. 3.6.1 und 3.6.2

[3] Weisungen des Erziehungsrates über den Gebrauch des Hochdeutsch als Unterrichtssprache vom 23. Juni 2004, http://edudoc.ch/record/33426/files/weisung_unterrichtssprache_sh.pdf